Eine Studie aus Schottland, welche Ende letzten Jahres im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde sorgte für Aufsehen in der Fußballwelt. Die Forscher konnten in ihrer Langzeitstudie, die sich über 18 Jahre hin erstreckte zeigen, dass ehemalige Profi-Fußballer ein dreieinhalb-Mal höheres Risiko aufweisen an neurodegenerativen Erkrankungen zu sterben, als andere Menschen. Wir haben uns die Studie einmal genau angesehen.
Fußball ist wie Eishockey und Handball eine Kontaktsportart. Bei diesen treten häufig leichte traumatische Kopfverletzungen auf. Hauptursachen beim Fußball sind Kopf-an-Kopf-Kontakte, Treffer durch den Ball sowie Kollisionen von Ellenbogen und Kopf (1). Je nachdem, welche Population untersucht wird, variiert die Angabe zur Häufigkeit dieser Art von Verletzungen beim Fußball. Sie bewegt sich meist zwischen vier und 22 Prozent (2, 3). Neben dem Oberschenkel war der Kopf bei der Fußball-WM 2014 die am häufigsten an die medizinische Abteilung der FIFA gemeldete betroffene Körperstelle (4). Drei Schädelfrakturen und fünf Gehirnerschütterungen wurden dokumentiert. Darunter auch der Fall von Christoph Kramer, über den in den Medien groß berichtet wurde. Vergleicht man diese Werte mit den Weltmeisterschaften davor, lässt sich eine deutliche Tendenz nach oben beobachten.
Pathologische Veränderungen
Seither gibt es mehr und mehr Studien zur direkten Assoziation von Kontaktsportarten und neurodegenerativen Erkrankungen, wie Morbus Alzheimer, amyotropher Lateralsklerose und chronischer traumatischer Enzephalopatie (CTE) (5,6,7). Es konnten diverse pathologische Veränderungen bei ehemaligen Fußball- und Footballprofisportlern gezeigt werden, die mit CTE in Verbindung gebracht werden (8–13). Bisher gab es jedoch noch wenig Daten im Hinblick auf neurodegenerative Erkrankungen bei ehemaligen Profifußballern.
Kohortenstudie
Forscher der Universität Glasgow und der Hampden Sports Clinic führten deshalb eine retrospektive Kohortenstudie durch, in welcher sie die Sterblichkeitsrate, bedingt durch eine neurodegenerative Erkrankung, von 7676 ehemaligen schottischen Profifußballern aus den Jahrgängen 1900 bis 1976 mit der von 23028 Menschen der Normalbevölkerung, gleichen Geschlechts, Alters und sozialen Status, verglichen. Zudem verglichen die Wissenschaftler die Häufigkeit, mit welcher den Probanden Medikamente zur Behandlung von Demenz verordnet wurde. Zu den berücksichtigten neurodegenerativen Erkrankungen, zählten verschiedene Formen der Demenz, zum Beispiel Morbus Alzheimer und Morbus Parkinson.
Weniger Herzerkrankungen und Lungenkrebs
Im Laufe der Studie verstarben 1180 Profifußballer (15,4 Prozent) und 3807 Menschen der Kontrollgruppe (16,5 Prozent). Die Sterblichkeitsrate war bei den ehemaligen Fußballern allgemein betrachtet bis zu einem Alter von 70 Jahren niedriger als bei der Kontrollgruppe. Jenseits der 70 jedoch höher. Sowohl die Sterblichkeitsrate, welche auf ischämische Herzerkrankungen zurückzuführen war, als auch die bedingt durch Lungenkrebs war bei den ehemaligen Fußballern signifikant geringer als bei der Kontrollgruppe. Die Forscher erklärten sich die Ursache hierfür durch die höhere körperliche Aktivität, sowie den geringeren Anteil an Rauchern und Übergewichtigen bei den Profisportlern.
Morbus Alzheimer
1,7 Prozent der Sportler verstarb aufgrund einer neurodegenerativen Erkrankung. Bei der Kontrollgruppe waren dies lediglich 0,5 Prozent. Somit erklärt sich das dreieinhalb-Mal so große Risiko für Profifußballer an einer neurodegenerativen Erkrankung zu sterben. Hierbei zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen Feldspielern und Torhütern. In der Gruppe der Ex-Sportler variierte die Rate der als primäre Todesursache oder stark dazu beitragendem Faktor angesehene neurodegenerative Erkrankung in Bezug auf den Subtyp der Erkrankung. So war die Rate bedingt durch Morbus Alzheimer am höchsten und durch Morbus Parkinson am geringsten. Zudem bekamen mehr ehemalige Spieler Demenz-Medikamente verordnet, als dies bei der Kontrollgruppe der Fall war. Hierbei zeigte sich zudem, dass Torhüter weniger häufig Demenz-Medikamente verordnet wurden, als Feldspielern.
Amateur-Fußball
Auch wenn die Studie zeigt, dass dreieinhalb-Mal so viele Profifußballer aufgrund neurodegenerativer Erkrankungen verstarben als dies bei Menschen der Normalbevölkerung der Fall war, so beantwortet sie jedoch weder die Frage, inwieweit sich die Ergebnisse auf den Amateur-Fußball übertragen lassen, noch was die genaue Ursache für die häufigeren neurodegenerativen Erkrankungen bei Profifußballern ist. Dementsprechend bleibt es unklar, welche Rolle Kopfbälle und Kollisionen in diesem Zusammenhanf spielen. Zur genauen Klärung dieser Fragen bedarf es weiterer Studien.
Abschließend lässt sich sagen, dass beim Fußball, wie auch bei den anderen Kontaktsportarten, die Gefahr langfristiger Gehirnschäden und die daraus resultierenden Folgeerkrankungen nicht unterschätzt werden darf. Es wurden hierzu schon einige Reglementierungen impliziert, jedoch ist auch hier, wie bei allem anderen eindeutig noch Luft nach oben.
In diesem Sinne räumen wir das Feld und drücken euch die Daumen für ein Kollisionsfreies Kopf-Spiel!
Literatur:
- Boden BP, et al. 1998. Concussion incidence in elite college soccer players. Am J Sports Med. 1998 Mar-Apr;26(2):238–41.
- Covassin T, et al. 2003. Sex Differences and the Incidence of Concussions Among Collegiate Athletes. J Athl Train. 2003 Jul-Sep; 38(3): 238–244.
- Henke T, et al. 2014. Sportunfälle im Vereinssport in Deutschland. Bundesgesundheitsb. 57, 628–637.
- Dvorak J. und Junge A. 2015. Twenty years of the FIFA Medical Assessment and Research Centre: from ‘Medicine for Football’ to ‘Football for Health’. Br J Sports Med. 2015 May; 49(9): 561–563.
- Wilson L, et al. 2017. The chronic and evolving neurological consequences of traumatic brain injury. Lancet Neurol 2017; 16: 813–25.
- Smith DH, et al. 2019. Chronic traumatic encephalopathy — confusion and controversies. Nat Rev Neurol 2019; 15: 179–83.
- Stewart W, et al. 2019. Primum non nocere: a call for balance when reporting on CTE. Lancet Neurol ; 18: 231–3
- Omalu BI, et al. 2005. Chronic traumatic encephalopathy in a National Football League player. Neurosurgery ; 57: 128–34.
- McKee AC, et al. The spectrum of disease in chronic traumatic encephalopathy. Brain 2013; 136: 43–64.
- McKee AC, et al. 2014. The neuropathology of sport. Acta Neuropathol 2014; 127: 29–51.
- Stewart W, et al. 2016. Chronic traumatic encephalopathy: a potential late and under recognized consequence of rugby union? QJM 2016; 109: 11–5.
- Hay J, et al. 2016. Chronic traumatic encephalopathy: the neuropathological legacy of traumatic brain injury. Annu Rev Pathol 2016; 11: 21–45.
- Hales C, et al. 2014. Late-stage CTE pathology in a retired soccer player with dementia. Neurology 2014; 83: 2307–9.