
Wir haben uns für zwei Matches einen weiteren Topspieler ausgeliehen. Er wird uns im zentralen Mittelfeld mit seinem reichen Erfahrungsschatz im Bereich Spieltechnik und Athletik unterstützen. Herzlich Willkommen im Team: Frédéric Newnham.
Athletiktraining im Fußball Teil 1: Die Trainingssteuerung
„Finally, and before you start reading the book, I have one suggestion: Erase your mind, clean your previous football thoughts and forget everything you have learned about football training so far!“
(Javier Mallo, Athletiktrainer Real Madrid / Manchester City / Atlético Madrid)
Wenn wir über Periodisierung der Athletik, also die Trainingssteuerung sprechen, müssen wir uns im Vorfeld über grundlegende Faktoren einig werden. Wir müssen einen gemeinsamen Nenner im Hinblick auf die Definition des Fußballs finden. Ist diese Fragestellung nicht geklärt, werden immer verschiedene Philosophien im Raum stehen. Dann setzen wir uns mehr mit diesem Thema auseinander, als uns mit dem Thema der Trainingssteuerung zu beschäftigen. Hierbei spielen viele verschiedene Faktoren eine wichtige Rolle. Wir müssen also alle dieselbe Fußball-Sprache (football language) sprechen. Im „klassischen“ Sinne (veraltet) wird in vier große Leistungsfaktoren unterteilt:
- Taktik
- Technik
- Athletik (Fitness)
- Mentale Faktoren
Würden diese vier Wörter nun in eine Runde mit zehn unterschiedlichen Menschen, nehmen wir an Trainer, eingebracht werden, dann würden daraus mit hoher Wahrscheinlichkeit zehn verschiedene Definitionen hervorgehen.
Relevante Faktoren
Nehmen wir in unserem Fall die Athletik (Fitness) und den mentalen Faktor, dann müssen wir von fußballspezifischer Fitness sprechen und von der damit verbundenen Physiologie eines jeden einzelnen Spielers. Da die Physiologie das Gehirn miteinschließt, ist der mentale Faktor als eigenständiger Faktor für sich als nicht mehr korrekt anzusehen. Denn es wird sich ständig eine Symbiose der beiden oben genannten Punkte ergeben. Bin ich in meiner fußballspezifischen Fitness herabgesetzt, werden sich auch meine Denkweise und meine mentalen Gegebenheiten ändern. Anders herum, kann ich gute Werte bei meinen Fitnesseinheiten vorweisen, bin ich aber an einem Tag mit meinen Gedanken nicht voll bei der Sache, also voll konzentriert, wird sich meine Leistung auf dem Platz nicht zu 100 Prozent abrufen lassen.
Die nachfolgende Grafik bildet ab, wie die im Fußball relevanten Faktoren in Bezug zueinanderstehen und sich gegenseitig bedingen und ergänzen.
Laut Raymond Verheijen (1) können wir den Körper nicht als physiologisch und das Gehirn nicht als mental ansehen. Der Körper umfasst das Herz, die Lunge, die Muskeln und das Gehirn sowie alle verschiedenen viszeralen Vorgänge und damit verbundenen Zusammenhänge im menschlichen Körper. Wenn sich der Verstand oder die Denkweise im Gehirn abspielt, ist das Teil des Körpers und deshalb als physiologisch zu betrachten. Die Folge dessen ist, dass wir Begriffe wie mental nicht mehr länger benötigen. Insofern sollten wir folgendermaßen unterscheiden:
- Taktik
- Technik
- Physiologie
Zusammenspiel der Faktoren
Taktik stellt eine verbale sowie non-verbale Kommunikation auf dem Platz dar. Der Spieler, der im Ballbesitz ist, muss in kürzester Zeit eine Entscheidung treffen, wie zum Beispiel: Passe ich? Dribbel ich? Schieße ich? Habe ich eine Entscheidung getroffen, muss ich diese Entscheidung auch bestmöglich ausführen können. Dies bedingt in der Folge meine Technik. Habe ich meine erlernte Technik angewandt, treffe ich wieder eine Entscheidung, in welchen Raum ich mich im Anschluss bewege. Hier kommen wir wieder zur Taktik zurück. All diese Vorgänge beziehungsweise Ausführungen sind in einem Spiel mit einem hohen Maß an Qualität und Quantität nur möglich, wenn die Physiologie mitspielt und verlässlich ist. Während eines Spiels kommt es demnach ständig zu einem Zusammenspiel der drei Faktoren: Taktik, Technik und Physiologie. Genau aus diesem Grund ist ein ständiger Austausch m Trainerstab unabdingbar, denn auch ein Athletiktrainer muss aufgrund der Anforderungen des Cheftrainers — und der damit verbundenen Philosophie — das Training so steuern, dass die physiologischen Anforderungen der Spieler genau auf die Philosophie des Trainers abgestimmt sind. Dies stellt die Grundlage der Trainingssteuerung dar.
„Trainingsplanung heißt, die einzelnen Prozesse innerhalb eines Trainings in einem theoretischen Prozess vorwegzunehmen und Entscheidungen definierbar sowie messbar für Trainingsziele, Trainingsstruktur und Trainingsablauf (inkl. Kontrolle) zu treffen.“ (Frédéric Newnham)
Der Athletiktrainer wird sich dabei immer an drei große Vermittlungsansätze halten müssen:
- Bekannte Systeme und Konzepte
- Subjektive Erfahrungswerte
- Wissenschaftliche Erkenntnisse sowie Bausteine und theoretisches Hintergrundwissen
Dabei kommt es zu besonderen Ansprüchen des Trainers, die an die Spieler gerichtet werden. Hierbei ist die Grafik des OS — Instituts von Oliver Schmidtlein sehr hilfreich.
In der Abbildung ist deutlich erkennbar, auf welche drei Faktoren es beim Training im Wesentlichen ankommt: Das sind Motivation, Energie und Konzentration.
Je nachdem, was ich für Ansprüche an den Trainingstag stelle, stehen diese Faktoren in einem unterschiedlichen Verhältnis zueinander.
Es stellt sich im Folgenden die Frage, wann mache ich was und zu welchem Zeitpunkt? Hierzu sollten zunächst drei große Zyklen unterschieden werden:
- Makrozyklus (langfristiger Zyklus): drei bis sechs Monate (manchmal sogar bis zu 12 Monate)
- Mesozyklus (mittelfristiger Zyklus): drei bis fünf Wochen
- Mikrozyklus (kurzfristiger Zyklus): eine Trainingswoche
Wie fülle ich die einzelnen Zyklen mit Leben beziehungsweise Training?
Hier ist der Begriff der „taktischen“ Periodisierung von entscheidender Bedeutung.
„Bei der „taktischen Periodisierung“ handelt es sich um eine fußballspezifische Periodisierung des Trainingsinhaltes. Im Fußball geht es nach dem Grundprinzip der taktischen Periodisierung, um das Verhalten in Ballbesitz, bei gegnerischem Ballbesitz, im offensiven und im defensiven Umschaltmoment. Trainingsübungen sollen möglichst immer mit Ball und in einem taktischen Kontext stattfinden.“ (Frédéric Newnham)
Zudem müssen wir bedenken, dass die Planung für einen Amateurverein mit zwei bis drei Trainingseinheiten in der Woche à eineinhalb Stunden und einem Spiel am Wochenende ein anderer sein muss, als für einen Verein in der ersten Liga mit Pokal- und Europapokal-Spielen. Darauf gehe ich im zweiten Teil dieser Reihe genauer ein.
Die Priorität der Trainingsplanung ist, dass das Team am Spieltag immer in Topform auf dem Platz stehen soll und zwar mit allen oben genannten Faktoren: Motivation, Energie und Konzentration. Ausschlaggebend hierfür sind ganz klar die physiologischen Zustände der Spieler.
Um diese einordnen zu können, benötigt man am Anfang den Ist-Zustand eines jeden einzelnen Spielers. Dieser lässt sich sehr gut über einzelne Tests ermitteln. Hierzu gibt es verschiedene Ansätze. Ich empfehle jedoch den sogenannten MAS Test (Maximum Aerobic Speed), denn er liefert meines Erachtens die genauesten und effektivsten Ergebnisse.
Dieser Test kann sowohl im Amateurbereich (vorausgesetzt es besteht die Möglichkeit den Puls von jedem Spieler zu messen), als auch im Profibereich angewendet werden.
Hierbei gibt es zwei verschiedene Adaptationsmodelle:
- Stimulus-Fatigue-Recovery Theory (Prinzip der Superkompensation)
- Fitness-Fatigue Model
Betrachten wir das Prinzip der Superkompensation, da es das populärste ist, zur Beschreibung von Leistungszuwachs. Dieses Prinzip kann auf Kraft sowie auf Ausdauer anwendet werden und läuft nach einem definierten Schema ab:
- Ich setze einen Trainingsreiz an Tag X
- Meine Leistung wird nach einer intensiven Trainingseinheit abfallen
- Jetzt kommt es zu einer angemessenen Regeneration in der Erholungsphase, die durch wissenschaftliche Tests, durchgeführt bei jedem einzelnen Spieler, gesteuert werden kann (meist durch regelmäßige Kontrolle der CRP Werte)
- Durch eine angemessene Regeneration kommt es bei der nächsten Einheit zu einem höheren Ausgangspunkt für den nächsten Trainingsreiz
- Das Vorgehen wird wiederholt
- Es ergibt sich dauerhaft ein Anstieg der Leistung
Inhalt des MAS Tests und wie führe ich Ihn durch?
Mit Hilfe des MAS Tests können die individuellen Trainingsbereiche, also erforderliche Belastungen in den einzelnen Intervallen bestimmt, sowie die Wettkampfzeiten hochgerechnet werden. Mit einem Sender zur Bestimmung der Trainingsintensität für jeden Spieler kann darüber hinaus auch noch die Leistung in Watt festgehalten werden.
Ablauf des Tests:
- Aktive Aufwärmphase von 20 Minuten
- Zeit über 2.000 m Lauf, am besten auf einer 400 m Bahn; alternativ auf einer auf dem Trainingsplatz selber abgesteckten Strecke oder einem großen Quadrat[1]
- Es wird mit maximal 90 Prozent der (gefühlten) maximalen Geschwindigkeit gestartet
- Auch die letzte Runde muss mit derselben Geschwindigkeit gelaufen werden, wie die erste
- Am Ende des Tests wird die maximale Herzfrequenz (HF) beziehungsweise der vom Pulsmessgerät gespeicherte Höchstwert notiert
Ein Beispiel:
2.000 m Lauf mit einer maximalen HF von 170 s/min
[1] Hinweis: Wird der 2.000 m Lauf unter 7:30 Minuten absolviert, ist der MAS Test beim nächsten Mal an einem 3.000 m Lauf anzuwenden.
Ist die MAS Geschwindigkeit ermittelt, ergeben sich daraus die kompletten Trainingsbereiche. Bei dem oben aufgeführten Beispiel wird 170 s/min als maximale Herzfrequenz angenommen. Daraus ergeben sich zum Beispiel die Wettkampfzeiten für Halbmarathon und Marathon sowie der Spitzenbereich (rot), Entwicklungsbereich (gelb) und der Grundlagenausdauerbereich (grün). Das heißt, es ist immer entscheidend welche HF und welche Zeit der Spieler absolviert.
Werden diese Werte auf Fußballspieler übertragen, so lassen sich sehr genau und individuell alle Werte — auch für die verschiedenen Spielertypen und Positionen — bestimmen und das Training dementsprechend steuern.
Hierbei ergeben sich grundsätzlich Gruppen mit ähnlichen Werten, welche dann gemeinsam trainieren können. Weiterhin ergeben sich Richtwerte beziehungsweise Trainingsbereiche für die Steuerung der Woche und des Monats, also für den Mikro- sowie Mesozyklus. Ein Beispiel wäre hier das positionsspezifische Intervalltraining.
Die gesamte Vielfalt muss betrachtet werden
Wenn wir diese Überlegungen auf den Fußball übertragen, umfasst dieser, meiner Auffassung nach, drei Bereiche:
- Verteidigen
- Übergang
- Angreifen
Inwieweit diese Bereiche mit Leben gefüllt werden, ist einzig und alleine von der subjektiven Auffassung des Trainers und dem mit ihm zusammenarbeitenden Funktionsteam abhängig.
Aus meiner Sicht als Athletik- und Fitnesstrainer im Fußball, muss ein Spiel in seiner gesamten Vielfalt betrachtet werden. In meiner nunmehr 20-jährigen Praxiserfahrung habe ich festgestellt, dass ein Spieler (ausgenommen der Torhüter) im Durchschnitt 80 Prozent der gesamten Spieldauer steht, geht oder langsam trabt. Die restlichen 20 Prozent sind mit Sprints gefüllt. Das kuriose ist, dass genau diese 20 Prozent zu fast 95 Prozent spielentscheidend sind, und demnach über Sieg oder Niederlage entscheiden. Das bedeutet das Training muss, unter Berücksichtigung einer Grundlage in Ausdauer und fußballspezifischer Fitness, möglichst viele Sprints im Intervall beinhalten. Selbstverständlich muss hierbei der Anspruch an die Spieler, abhängig von ihrer Qualifikation, berücksichtigt werden. Der Raum für Entscheidungen auf dem Platz wird, je hochklassiger ich spiele immer geringer. Somit muss der Trainingsanspruch dementsprechend angepasst werden und zwar taktisch, technisch und physiologisch.
Darüber hinaus kommt es aus meiner Sicht auch noch darauf an, dass das gesamte Training zusätzlich positionsspezifisch gesteuert wird. Die Ansprüche an die unterschiedlichen Mannschaftsteile und vor allem die unterschiedlichen Positionen auf dem Feld, sind nach meiner Auffassung immer differenziert zu betrachten. Ein Innenverteidiger hat definitiv andere Laufwege als ein Außenverteidiger und ist somit auch anders zu trainieren.
Deshalb sind folgende Punkte zu betrachten:
- Laufwege in km
- Laufwege und Anzahl der Sprints unter 25 km/h
- Laufwege und Anzahl der Sprints über 25 km/h
- Spitzengeschwindigkeit
- Häufigkeit der Spitzengeschwindigkeit im Spiel
Im Athletiktraining (fußballspezifische Fitness) lassen sich demnach folgende Gruppierungen zusammenfassen:
- Außenverteidiger und Flügelspieler
- Innenverteidiger
- Defensives und offensives Mittelfeld
- Stürmer
Nähe zur praktischen Situation
Abschließend möchte ich euch noch ein allgemeines Beispiel für einen Trainingstag geben, um eure Denkweise und euer Spektrum für euer Training zu erweitern.
- Aufwärmen mit Ball (bei mir kommt der Ball in der 4. Stufe des Warm Up’s, auf das Warm Up gehe ich spezifisch noch im zweiten Teil ein)
- Training der Athletik im Verbund mit positionsspezifischen Bewegungen und einer Spielform.
- Eine Spielform mit Fokus auf „Ballbesitz“ und
- Eine Spielform zum Training des Umschaltmoments
- Cool down mit Ball
Wir brauchen, wie ihr seht, mehr Nähe zur praktischen Situation. Auch hier werden die Fitnessaspekte nicht isoliert, sondern im Verbund mit Taktik und Technik trainiert.
Letztendlich ist die taktische Periodisierung in ihrer Art einzigartig und umfasst immer alle drei der genannten Aspekte: Taktik, Technik und Physiologie. So wird der ganzheitliche Ansatz von Louis van Gaal mit einem variablen Spielmodell verbunden.
Jürgen Klopp stimmt dieser Methodik nicht völlig zu:
„Ein reines Training mit Ball ist ein Mythos. Nichts trainiert Laufstärke besser als Laufen, Laufen, Laufen!“ (Jürgen Klopp)
Auch hierfür gibt es jedoch Zahlen und Auswertungen, die dann wiederum ausschlaggebend für die Trainingssteuerung sind. Und auch hier werdet ihr die Unterschiede der einzelnen Positionen auf dem Platz sehen können.
Über die genauen Inhalte und Trainingsmethoden berichte ich im zweiten Teil meiner Reihe. Mit den hier beschriebenen Herangehensweisen und Methoden könnt ihr bereits selbst versuchen, die einzelnen Mannschaftsteile auf ein qualitativ gutes Training vorzubereiten.
Vielen Dank für Eurer Interesse und Eure Aufmerksamkeit.
Euer Frédéric Newnham
Er ist aufgelaufen und hat sein Debut mit Bravour gemeistert. Frédéric, wir danken Dir für Deinen ersten Einsatz voller Motivation, Energie und Konzentration. Wir freuen uns schon auf die Rückrunde!
Literatur:
- Verhejen R. and Hiddink G.2014. The Original Guide to Football Periodisation Part 1. World Footbal Academy BV; 1. Auflage